In Theresienstadt sagte man uns: „Ihr könnt entweder nach Russland, also in die Sowjetunion, oder in eure Heimat.“ In meine Heimat wollte ich nicht wieder. Ich hatte damals einen Freund, Jupp Moreen, er war ein lettischer Jude in meinem Alter. Und der sagte: „Geh bloß nicht nach Russland, da bist du verschwunden. Versuche von Deutschland aus, weg zu kommen.“ Deshalb habe ich mir überlegt, nicht nach Russland zu gehen, sondern wollte erst einmal zurück in die Heimat, um von da aus auszureisen. In Deutschland wollte ich nicht bleiben. Aber ich hatte noch die Hoffnung, wenigstens meine Geschwister oder meinen Vater wiederzufinden…
In der jüdischen Gemeinde wurde von der ersten Minute an über Auswanderung gesprochen, obwohl es nach 1945 auch immer eine große Freude war, wenn wir uns zu Chanukka-Festen trafen. Oder wenn wir uns mit unseren Familien gegenseitig besuchten, zum Beispiel die Familie Spiegel oder die Familie de Vries…
Diejenigen, die hier geblieben sind, wollten meistens nicht bleiben, sondern hatten ähnliche Motive wie ich. Sie hatten einfach keine Möglichkeit auszuwandern…
Eine Zeitlang betrieb auch ich die Auswanderung nach Amerika. Der Cousin meines Vaters, der schon für meine Eltern gebürgt hatte, ließ mich nach 1945 durch das Rote Kreuz suchen. Dann hatte er mich gefunden, und ich hatte mich auch schon dort angemeldet. Aber er verunglückte tödlich mit dem Auto, und damit war die Idee der Auswanderung nach Amerika erledigt.
Später wollte ich nach Palästina auswandern. Als es eines Tages hieß, „man kann nach Palästina,“ habe ich mich sofort in Köln gemeldet. Da wurden wir von einem Rabbiner Helfgott begrüßt: 20 bis 25 Leute, nicht nur deutsche Juden, auch polnische Juden und andere, nichtjüdische, Lagerüberlebende. Es waren ja nicht nur Juden Häftlinge gewesen. Die Überlebenden sind in Lager für Displaced Persons gekommen, um sie dann zu verteilen, um sie nach Hause zu schicken, in die Sowjetunion, oder irgendwo anders hin.
Rabbiner Helfgott sagte uns damals: „In 14 Tagen geht ein Schiff nach Palästina. Aber man muss versuchen, illegal reinzukommen. Es kann passieren, dass die Schiffe von Kriegsschiffen der Engländer aufgebracht werden. Dann werdet ihr inhaftiert, nach Zypern gebracht und müsst dort noch ein oder zwei Jahre bleiben. Sie wollen keine Juden mehr nach Palästina rein lassen. Die Engländer haben mit den Arabern einen Vertrag gemacht, keine Juden mehr rein zu lassen. Aber ein KZ ist das dann nicht.” Da habe ich ihm geantwortet: „Herr Rabbiner Helfgott, wissen Sie was? Einen Stacheldraht will ich nicht mehr von innen sehen. Neun Monate Arbeitslager und dreieinhalb Jahre KZ haben mir genügt.“ Und dann bin ich weggegangen…
Und so blieb ich leider in Deutschland und in Recklinghausen.
(Auszüge aus:
Rolf Abrahamsohn: „Was machen wir, wenn der Krieg zu Ende ist?“ Lebensstationen 1925-2010, herausgegeben vom Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte und dem Jüdischen Museum Westfalen, Essen 2010)