Zum Schützenfest kam aber von außerhalb eine Kapelle. War das aufregend! Die Hauptsache war, dass sie sehr laut spielte. Dutzende von Kindern folgten den Musikern, wenn sie durchs Dorf zogen, und Erich Jacobs blieb nicht zu Hause. Bereits um 6 Uhr früh weckten die Musikanten die Nuttlarer. Wir Kinder mussten nicht geweckt werden: Wir warteten schon an unseren Fenstern und freuten uns über die Musiker, die so frühmorgens musizierend durch den Ort zogen. Das ganze Dorf war dabei. Für drei Tage gab es nur eines: das Fest am Samstag, am Sonntag und auch noch am Montag.
Am dritten Tag wurde das Königsschießen durchgeführt. Das war der Höhepunkt dieser Festtage. Ein großer Vogel aus Holz musste von einem hohen Pfahl, der Vogelstange, heruntergeschossen werden. Unser Vater war auch Mitglied im Schützenverein und bei den ehemaligen Soldaten. Er konnte sich nicht ausschließen. Papa und Mama sahen es als ihre Pflicht an, in der Schützenhalle zu erscheinen und dort zu tanzen. Sie betrachteten das alles als nicht-jüdischen Brauch (Goien-Nachas), aber sie lebten mit Nicht-Juden (Gojim) zusammen in einem Ort und mussten sich mit ihnen arrangieren.
Die Schützen erwarteten jedes Jahr auch von meinem Vater, dass er am Vogelschießen teilnahm. Aber mein Vater war schlau: Er nahm zwar am Schießen teil, zielte aber nur solange genau, wie er sah, dass der Vogel sich nicht bewegte. Wenn dieser jedoch anfing zu wackeln, schoss Papa einfach in die Luft, ohne dass die Leute die bemerkten. Denn es war sehr teuer, Schützenkönig zu werden, und Papa wollte nicht auf diese Weise sein »sauer verdientes« Geld ausgeben.
Erich Jacobs aus Nuttlar (Sauerland) in seinen Memoiren