Aprilboykott 1933 in Dortmund

Man hatte den Kindern gesagt, dass sie am 1. April 1933, dem Tag des Boykotts, nicht in die Schule kommen sollten. Selbst der Schuldirektor war der Meinung, dass das Leben der jüdischen Kinder nun gefährdet sei. Eines Nachts wurden an jedem jüdischen Geschäft, an jedem Haus, das einem Juden gehörte, große Plakate angebracht. Postkarte dortmund 9Auf jedem Platz, an jeder Ecke vor der Synagoge fanden sich Propagandatafeln, auf denen wir verächtlich gemacht und beschimpft wurden. Wir seien Parasiten und hätten das Unglück des deutschen Volkes verschuldet, so konnten wir überall und immerzu bei jeder Gelegenheit hören und lesen. Doch an diesem Tag schloss kein jüdischer Laden; keiner wollte angesichts des Boykotts seine Angst zeigen. Nur die Synagoge öffnete ihre Tore nicht wie sonst, obgleich es Sonnabend war. Wir wollten nicht, dass diese heilige Stätte durch irgendwelche Unruhestifter entweiht würde.

Ich ging sogar in die Stadt, um zu sehen, was im Geschäftsviertel los war. Ich fand keine begeisterte Menge, die durch die Straßen stürmte und die jüdischen Geschäfte zerstörte, wie es die Nazis erwartet hatten, sondern ich hörte nur Äußerungen des Unmuts und der Missbilligung. Viele Menschen versammelten sich vor den jüdischen Läden und beobachteten die Naziposten, die dort standen, um jeden am Betreten des Geschäftes zu hindern. Dennoch gab es viele, die den Mut aufbrachten, in die Geschäfte hineinzugehen, obgleich sie von den Nazipatrouillen wüst beschimpft und fotografiert wurden, um sie durch Veröffentlichung in den Tageszeitungen als Feinde des deutschen Volkes zu brandmarken. Im Inneren der Geschäfte spielten sich in den Büros andere Auseinandersetzungen ab. Die Nazis zwangen hier die jüdischen Kaufleute, ihren ausländischen Geschäftspartnern in Telegrammen zu versichern, dass die Situation völlig normal sei, dass es keinen Boykott jüdischer Geschäfte gäbe. Einer dieser Männer wurde sogar zwangsweise in Begleitung von zwei Nazibeamten nach Holland geschickt, um dort ausländische Kunden und Geschäftsleute zu überzeugen, dass alles in Ordnung sei.

Mit jedem Tag der Naziherrschaft wurde die Kluft zwischen uns und unseren Mitbürgern weiter. Freunde, mit denen wir lange Jahre hindurch freundschaftlich verbunden waren, kannten uns nicht mehr. Plötzlich stellten sie fest, dass wir eben doch anders waren als sie.

Aus den Erinnerungen von Marta Appel (Dortmund)


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