Fluchtvorkehrungen, 1977

Dass der Heimatverlust auch dann ein ganzes Leben überschatten kann, wenn die Rückkehr aus dem Exil möglich war, hat der 1905 in Duisburg geborene Schauspieler, Regisseur, Theaterleiter Paul Walter Jacob erleben müssen.

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Paul Walter Jacob 1976

Er stand am Anfang einer vielversprechenden Karriere, als er Ende März 1933 von den Städtischen Bühnen Essen, mit einem Hinweis auf „die zur Zeit vorhandene Stimmung weiter Volkskreise“ beurlaubt und damit zu einem Emigranten der ersten Stunde wurde. Amsterdam, Paris, Luxemburg, Prag waren dann die wichtigsten Stationen seines Exils in Europa. Er spielte und inszenierte an deutschsprachigen Bühnen, wo immer das möglich war, und schrieb unter Pseudonym für Exilzeitungen und Zeitschriften. Schließlich ging er nach Argentinien und gründete hier die Freie Deutsche Bühne, die im April 1940 ihre erste Premiere feierte und deren Leiter er für zehn Spielzeiten blieb. Nach seiner Rückkehr 1950 arbeitete er mehr als 10 Jahre als Intendant der Städtischen Bühnen Dortmund, dann als freier Regisseur, als Autor und vor allem als Schauspieler bei Funk und Fernsehen und an vielen Theatern.

Sein Wohnsitz war Dortmund, im Ruhrgebiet, wo er seine Kindheit verbracht hatte, doch der Heimatverlust blieb unüberwindbar, Heimat im Sinne von Sicherheit war für ihn nicht mehr vorstellbar. Sein Biograf Uwe Naumann beschreibt diese Tragik des Exils im eigenen Land: „Eine Wohnung, die eigentlich nur ein Schlafplatz war? Schlimmer: eine anonyme Verwaltungszentrale, in der die Fäden einer weltweiten Korrespondenz zusammenliefen und in Aktenordner gesammelt wurden, eine Art Zentralarchiv für die Kulturgeschichte der ersten Hälfte diese Jahrhunderts und die eigene Lebensgeschichte, gleichzeitig aber auch ein Depot, in der die Fluchtmittel für verschiedene Eventualitäten bereit gehalten wurden. IMG_2485Dortmund, Hiltropwall 12, ein Domizil auf Abbruch. Da gab es nicht nur den wohlgeordneten Kasten mit den Portemonnaies, die den aufgrund von Exilerfahrungen berechneten Startbetrag in den Währungen verschiedener Länder enthielten. Da gab es Aktentaschen mit einer entsprechenden Grundausstattung an Medikamenten für die unterschiedlichen Klimazonen dieser Erde. Da gab es nach Städten und Ländern geordnete Adressen- und Telefonverzeichnisse. Und da gab es schließlich auch den argentinischen Paß, der alle zwei Jahre verlängert werden mußte. […]. Ähnliche Depots, nur kleiner, gab es in mehreren Städten in der Bundesrepublik, in Westeuropa und auch Südamerika.“


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